Kubas 50´s-US-Cars
Die ikonischen Kuba-Motive von 50er-Jahre-Straßenkreuzern vor verfallenen Villen haben sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Nicht nur US-Heckflossenfans kommen auf ihre Kosten: Auch DDR- und UdSSR-Relikte rollen noch über die maroden Pisten von Havanna. Die notdürftig restaurierten Vintage-Cars sind allerdings in erbärmlichem Zustand, denn für die Locals ist der Mythos von der Romantik eine Legende. Dass der Kommunismus eine gescheiterte Ideologie ist, wird hier mehr als deutlich – aus der Revolution wurde eine reinrassige Diktatur: Reise- und Pressefreiheit sind Fremdwörter. Seit 60 Jahren gibt es Lebensmittelmarken und Mangelwirtschaft. Pressefreiheit? Reisefreiheit? Das sozialistische Sperrgebiet ist am Ende. Die Kubaner fahren die Oldtimer, weil sie keine Alternative haben.
STRASSENKREUZER: GEFANGEN IM VERGANGENEM
„Suddenly it´s 1959!“ Der mintgrüne 1957er Chevrolet „Bel Air“ parkt vor der bröckelnden Fassade mit einem verblasstem Che-Guevara-Wandbild. „Hasta la victoria Siempre!“, immer bis zum Sieg! steht neben der Ikone in Lettern an der Wand. Nach Sieg sieht auf Kuba überhaupt nichts aus: Eingestürzte Fassaden, marode Villen, und Nationalflaggen-Graffitis. 60 Jahre Diktatur im marxistisch-leninistischem Gewand haben ihre Spuren hinterlassen. Presse, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit sind ebensolche Fremdwörter wie unabhängige Gerichtsbarkeit. Menschenrechtsvereinigungen sind auf der Insel nicht zugelassen. Trotzdem werden die Helden der 59er-Revolution gefeiert. Allen voran: Commandante Che Guevara. Die DDR und die Sowjetunion sind Geschichte. Was mit Kuba passieren wird? Ein großes Fragezeichen.
AMI-SCHLITTEN SIND EINE ZWANGSHEIRAT
Für Kubaner sind die Amischlitten keine Liebesbeziehung, wie von Touristen verklärt, sondern eine Zwangsheirat. Für Touristen und US-Car-Fans ist Havanna dennoch ein magischer Ort. Wir sind mit einem Privattaxi die 2,5 stündige Strecke von Varadero nach Havanna mit einem 57er Buick „Roadmaster mit Klimaanlage für 50 US-Dollar gefahren. Bei abendlichen Taxifahrten sind wir mit Ikonen der US-Cars gefahren. Im Cadillac „Eldorado“ Cabrio 1959, Plymouth „Belvedere“ 1959 (Die Schwester von der „Christine-Fury“) und sogar in einem Ford „Edsel“ durch die Altstadt gecruist. Man kann auch einstündige Touren mit restaurierten Straßenkreuzern mit Fahrern wie erwähnt für 30 US-Dollar buchen. Auch die Hemingway-Touren werden mit Straßenkreuzern angeboten. Wie in einer US-Car-Werbung aus den Fünfzigern muten einige Straßenszenen an. Und dabei fühlt man sich zeitweise mit Marty Mc Fly in Back to the Future, bei seiner Zeitreise mit dem DeLorean ins Jahr 1955. Die unzähligen Denkmäler, Wandbilder und Fahnen mit den Erfolgen Kubas erinnern auch an Plakate zur 40-Jahre-DDR-Feier vorm Mauerfall. „Die Liebe zur Sowjetunion“, „40 Jahre Politik zum Wohle der Menschen“.
Kuba ist ein Kuriositäten-Kabinett: Nicht nur US-Heckflossen-Fans lieben Havanna. In der sozialistischen Sperrzone der Karibik sieht man auch häufig Fiat Polskis, UDSSR-, CSSR- und DDR-Fahrzeuge wie Tschaika GAZ- und Zil-Limousinen, Wolgas und Skodas sowie alte Ladas und MZ-Motorräder.
Im Originalzustand sind die wenigsten Autos – wenn überhaupt. Die Florida Keys sind zwar keine 200 Kilometer von der Insel entfernt, aber durch das Handelsembargo mit den USA sind die Kubaner gezwungen, Traktor- und LKW-Ersatzeteile aus Russland und Osteuropa zu beziehen. Daher werden notgedrungen Ersatzteile aus Landwirtschaftsfahrzeugen in den Straßenkreuzern verbaut. Kein Wunder, dass die KFZ-Mechaniker als extrem talentierte Improvisationskünstler gelten. Mehr als 60.000 US-Cars rollen seit 60 Jahren über die Insel – die meisten in Havanna und Santiago de Kuba. Fast alle haben mehr als eine Millionen Meilen auf dem Tacho, denn die Hälfte sind Heckflossen aus den Fifties.
Wie Tom Cotter und Bill Warner im empfehlenswerten Buch „Cuba´s Car Culture“ erläutern, erhoffen sich viele Kubaner, das sie, wenn die Beziehungen mit den USA wieder normalisiert sind, ihre Vehikel mit Gewinn dorthin exportieren könnten. Doch die durch Notstand verbastelten Autos sind keine „30-Footer“, also Autos, die auf 10 Meter okay aussehen, sondern „100-Footer“ wie Cotter und Warner die Autos bezeichnen. Ihr Urteil: 99 Prozent der Autos, die auf Kubas Straßen herumrollen sind im Zustand 5 und schlechter. Restauration ist ein Fremdwort – hier wird alles wie erwähnt notdürftig zusammengeflickt. Einige Autos sind 80 Jahre alt. Schlechte Straßenqualität, minderwertiges Benzin und fehlende Original-Ersatzteile mindern die Freude an Oldtimer-Fans. Beispiel: Auf Kuba wird ein 58er Chevrolet Impala im typischen Zustand 6 für umgerechnet 40.000 US-Dollar verkauft – in den USA ist das gleiche Modell für weit weniger als die Hälfte zu haben.
TRIUMPH DER REVOLUTIONI
In der Phase vor dem sogenannten „Triumph der Revolution“ lebten auf Kuba auch viele Reiche während ein Großteil der Bevölkerung bettelarm war. Vor der Revolution herrschte Armee-Seargent Batista und verwandlete Havanna in eine Art Las Vegas mit Glücksspiel, Prostitution und illegalen Geschäften. Kuba war der größte Cadillac-Markt der Welt in den 50er-Jahren. Jurastudent Fidel Castro stürzte 1959 das Batista-Regime. Seitdem ging es mit der Insel nur bergab und Castro entpuppte sich mehr und mehr als Diktator, den man am besten einige Jahre nach der Revolution hätte stürzen müssen. Buena Vista Social Club. Kubanische Lebensfreude an der Uferpromenade Malecon und Armut! Es gibt seit 60 Jahren Lebensmittelmarken. Seit dieser Zeit verfallen auch die Häuser auf der Insel – jeden dritten Tag soll angeblich eins davon einstürzen.
MANGELWIRTSCHAFT STATT ROMANTIK
Die Einwohner betrachten die Mangelwirtschat mit wenig Romantik. Sollte man in solche Länder reisen? Ja – die Bevölkerung braucht Geld und den Tourismus, um zu überleben. Ganz nebenbei sind die Kubaner ein netter Menschenschlag und lieben die Deutschen, Klar wegen der Autos, aber auch für die friedliche Revolution, den Mauerfall, der 1989 das Ende des Kommunismus besiegelt hat. Davon träumen die meisten auf der Insel. US-Amerikaner sind bei den Locals übrigens ebenfalls gern gesehene Gäste. Aber: Amerikaner dürfen nicht direkt einreisen – sondern kommen nur über Mexiko oder Kanada auf die Insel.
US-CARS UND PALADARES
Direkt hinter dem Chevy werkelt ein Kubaner am Verdeck seines 58er Chrysler Imperial Convertible und wartet auf Touristen. Die überall angebotenen Straßenkreuzer-Touren sind allgegenwärtig wie die Zigarren-Ladys, die sich in farbenfrohen kubanischen Kleidern für 3 CUC-Dollar ablichten lassen. Typisch Kuba sind auch die Paladares – Kubas Underground-Restaurantkultur. Dabei handelt es sich um Privatrestaurants im Wohnzimmer. Als die Regierung 1993 eine Reihe von selbstständigen Berufen legalisierte, darunter auch im Gastgewerbe, bauten immer mehr Kubaner ihr Wohnzimmer zum Restaurant um. Es gelten natürlich Regeln: Es dürfen maximal 12 Sitze pro Paladar und mindestens zwei Mitarbeiter vorhanden sein, die beide Familienmitglieder des Hausbesitzers sein müssen. Unbedingt ansehen sollte man sich das „La Guarida“, einer der ersten Paladars, das in einem halbverfallenem Haus in Havanna residiert. Bekannt durch den Film „Erdbeeren und Schokolade“. Seit 2018 werden auf Havanna leider keine Lizenzen mehr für private Restaurants ausgestellt.
US-GRÖSSENWAHN ZWISCHEN DEUTSCHEM WIRTSCHAFTSWUNDER UND KUBAS REVOLUTION
Und überall rollen die Dreamcars als Symbol des Kapitalismus durch die heruntergekommenen Gassen Havannas. Die US-Heckflossen-Straßenkreuzer als Symbol des überbordernden Luxus und Größenwahn wirkten in den 50er-Jahren auch in Deutschland wie Autos vom anderen Stern. Während unsere Eltern und Großeltern, wenn überhaupt, voller Stolz mit 2-Meter langen Zweitakt-Roller-Mobilen mit 250ccm-Motoren, wie der BMW „Isetta“, dem Gogo- oder Fuldamobil sowie dem Messerschmitt „Kabinenroller“ unterwegs waren, konnten man in den USA mit sechs Meter langen und zwei Tonnen schweren Straßenkreuzer durch die Gegend fahren. Sparmodelle hatten für deutsche Verhältnisse unerreichbare Sechszylinder-Maschinen. Standard war der V8-Motor, 300 PS, Klimaanlage, Tempomat, Elektrische Fensterheber und Sitzverstellung. Teilweise in 30 verschiedenen Farben und Inneneinrichtungen konnten die Besitzer die Fahrzeug ihren Küchen-Designs anpassen, die es in ebenso vielen Farbkombinantionen gab. Unvorstellbarer Luxus: Vier Zigarettenanzünger, Vier Aschenbecher, 4-Track-Recoder, das Muntz Stereo-Pak mit Elvis auf Anschlag, kalte Getränke aus den Kühlscharank. Im Kofferraum hätte man einen Lloyds „Leukoplastbomber“ und Zündapp „Janus“ parken können, während man nur so zum Spaß, wie im Kultfilm „American Graffity“ gezeigt, herumcruiste. Cruisen (engl. to cruise, dt. „fahren, kreuzen“) ist in den 1950er Jahren unter US-Teenagern entstandenes Freizeitvergnügen, bei dem man mit einem Automobil langsam an von vielen Passanten frequentierten Orten kurvt. In Deutschland kann das Cruisen nach § 30, Abs. 1. Satz 3 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) auch heute noch verboten sein, wenn unnütz umhergefahren wird – nur mal so am Rande. Die Zeitschrift „Hobby“ titelte im August 1959 mit einem Cadillac Eldorado Motiv „Alptraumwagen aus den USA“, wegen der gigantischen Ausmaße, extremen Fin-Designs und 30-Liter-Verbrauch auf 100 Kilometer. Peanuts! In den USA kostete eine Gallone (4 Liter) 20 Cent. Größer hätten die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA kaum sein können. Umso kurioser sind die US-Heckflossen auf Kuba, die als Symbol des autombilen Überlebens mit Millionen von Kilometern auf dem Tacho eine längst vergangene Epoche zeigen. Die 50er-Jahre führen hier mit Vintage-Cars und Che-Guevara-Motiven ein seltsam-konserviertes Eigenleben, das man sich noch rechtzeitig ansehen sollte, bis es nicht von Investoren in die Neuzeit gebracht wird.
MYTHOS HECKFLOSSE: US-DESIGNER EARL UND EXNER WAREN PIONIERE
Apropos Heckflossen: Der Designer Harley J. Earl, einer der ersten Automobildesigner der Geschichte, hat die Heckflossen der US-Straßenkreuzer erfunden. 1948 präsentierten Earl und sein Team mit der Cadillac-Baureihe 62 die aufragenden hinteren Kotflügel: Als Inspiration diente Earl dabei das Doppelleitwerk des US-Jagdflugzeugs Lockheed P 38 „Lightning“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Er hat automobile Meilensteine wie die Chevrolet „Corvette“ sowie den Cadillac „Eldorado“ entwickelt. Earl war mehr als drei Jahrzehnte für General Motors tätig und brachte es dort bis zum stellvertretenden Vorstandschef der Designabteilung. Nicht zu vergessen natürlich auch Virgil Exner, der bekannt für seinen „Hundred Million Dollar“ und später „Forward Look“ (Plymouth Fury 1959, „Christine‘) bezeichneten. flachen und nach vorn geneigten Designs und Heckflossen-Gestaltungen bekannt war.