KARIBIKGUIDE

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Die dunkle Seite der Karibik: 3. Der „Schwarze Holocaust“

Der Genozid oder Holocaust ist keine Nazi-Erfindung, sondern so alt wie die Menschheitsgeschichte, auch wenn der industrielle Holocaust im Dritten Reich zu Recht als „Crimes of Crime“ gilt. Völkermorde gab es in allen Epochen in nahezu allen Regionen der Welt. In der Neuzeit werden die Gräueltaten in erster Linie mit dem Kolonialismus durch Europäer in Verbindung gebracht. Zwischen 1450 und 1880 wurden rund 13 Millionen Afrikaner aus dem Schwarzen Kontinent verschifft. 50 Millionen Opfer soll es gegeben haben – mitunter als „Schwarzer Holocaust“ betitelt. Die Black-Power-Bewegung bezeichnet es als „Das Verbrechen des Jahrtausends“ mit 100 Millionen Toten. Im Gegensatz zu den deutschen Zahlungen an Israel und Holocaust-Überlebende hätten die US-Amerikaner, die ihren Reichtum auf Sklaverei gründen, zum Thema Reparationen geschwiegen.

ARAWAKS, KAINOS, IGNERI UND KARIBEN

Seit 8000 Jahren leben in der Karibik Menschen. Vor den Entdeckungen im Ersten Jahrtausend v.  Chr. kamen Arawak-Indianer aus Venezuela. Es folgten rund 1500 Jahre später die kriegerischen Kariben, die die Arawak langsam von den Kleinen Antillen vertrieben. Zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert besiedelten die Arawak die Inseln Kuba, Hispaniola sowie die Bahamas Die Taíno waren ein zu den Arawak gehörendes indigenes Volk auf den Großen Antillen – vor der Ankunft der Kariben auch auf den Kleinen Antillen. Auf Grenada und Martinique lebten die Igneri. Das sollte sich alles nach der Ankunft der Kolonialherren rapide ändern.

KOLUMBUS UND HISPANIOLA

Wann begann die Kolonisation der Karibischen Inseln und was löste die gewaltige demografische Katastrophe aus? Die großen Seefahrermächte Portugal und Spanien beherrschten die Ozeane: Die Inselwelt im Osten sollte den Portugiesen gehören, – die westlichen Inseln den Spanien. Im Wettlauf mit Portugal um den Seeweg nach Indien wählte Kolumbus die Atlantikroute. Isabella von Kastillien („Die Schöne mit den Utensilien“ von den Comedian Harmonists) und Monarch Ferdinand hofften auf Gold, Ruhm und Macht. Das Unheil für die Ureinwohner nahm am 12. Oktober 1492 seinen Lauf: Christoph Kolumbus landete an diesem Tag statt in Indien auf San Salvador auf den Bahamas. Der italienische Seefahrer in kastilischen Diensten wurde daraufhin der erste Vizekönig des Vizekönigreichs Neuspanien. Auf seinen Entdeckungsreisen zwischen 1492 und 1504 steuerte Kolumbus vor allem die Großen Antillen an, darunter bei allen vier Reisen Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik), wo er erste Kolonien gründete. Erst auf seiner vierten Reise betrat er im heutigen Honduras das amerikanische Festland. Kolumbus hatte nicht bemerkt, dass es sich um einen bis dahin unbekannten Kontinent handelte. Diese Auffassung vertrat erst Amerigo Vespucci, nach dem die Neue Welt schließlich Amerika genannt wurde. Kolumbus gilt bis heute als maßgeblicher europäischer Entdecker der Neuen Welt, weil seine Reisen zu dauerhafter Kolonisierung führten.

OVANDO UND DAS ENDE DER TAINOS

Nach der Eroberung Hispaniolas (Dominikanische Republik/Haiti) brach Chaos aus und die Monarchen waren von der weiteren Schlagkraft Columbus enttäuscht. Sie suchten einen neuen starken Mann und ernannten Ordenskrieger Nicolas de Ovando zum Gouverneur der Insel, um für Ruhe und Reichtum in der Heimat zu sorgen. Santa Domingo wurde von ihm erobert und neu aufgebaut und an den Einheimischen Tainios wurde ein beispielloses Massaker verübt: Die Häuptlinge und Ureinwohner wurden verbrannt oder totgeschlagen. Innerhalb von zwei Jahren gehört den Spaniern Hispaniola, Jamaika und Puerto Rice – und mehr: Mittel- und Südamerika, die Reiche der Inkas und Azteken, sind die weiteren Plünderungsziele: Die unermesslichen Schätze lassen die Plünderungen in der Karibik verblassen. Kaum 50 Jahre nach Ankunft von Christoph Kolumbus sind die Tainos durch Mord, Sklavenarbeit und eingeschleppte Krankheiten nahezu vollständig vernichtet worden. 100 Jahre nach dem Eintreffen des berühmten Seefahrers gehört die Inselwelt der Karibik den Spanieren. 

DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK

Reichtum ist den anderen Nationen nicht entgangen und die Karibik mit ihren unzähligen Inseln und teilweise flachen Gewässern zeigt sich als ein schwer zu verteidigendes Archipel. Außerdem vernachlässigen die Spanier ihre Kolonien in der Karibik, weil sie vorrangig an den Bodenschätzen und Reichtümern der Inkas und Azteken interessiert sind. Sie nutzen Hispaniola daher in erster Linie als Zwischenstation. Für Seeräuber und Freibeuter aus England, Frankreich und den Niederländern sind die reich beladenen Schiffe eine lohnende Beute. 

1655 greift England nach der Herrschaft und ein erbitterter Krieg beginnt. Der legendäre Freibeuter Francis Drake soll im Auftrag von Elisabeth I. dem Erzfeind Hispaniola abjagen. Mit 20 Kriegsschiffen erobert er Santa Domingo.

St. Kitts ist die erste Insel, die von Engländern gegründet wird. Es folgen Barbados und weitere Eilande. Die Franzosen nehmen sich Martinique und Guadeloupe, während die Holländer Curaçao erobern. Es kommt zu weiteren Schlachten um Hispaniola mit Protector Oliver Cromwell, der den Kampf mit den Spanieren verliert, aber dafür Jamaika gewinnen kann. Nur 100 Jahre nach Drakes Angriff haben sich die Besitzverhältnisse geändert. Nun ist England die Nummer Eins in der Karibik.

ZUCKERROHR UND PEITSCHE

Womit machten die Eroberer das große Geld? Mit Tabak? Baumwolle? Gewürzen? Das Kokain dieses Zeitalters war zwar auch weiß, aber süß: Zucker. Das Geschäft mit dem begehrten Süßstoff hat gigantische Kapitalströme in Gang gesetzt, Hochseeflotten entstehen lassen und teils freiwillige, teils erzwungene Völkerwanderungen ausgelöst. Um 1640 beginnt der großflächige Anbau von Zuckerrohr. Dazu brauchten die Eroberer günstige Arbeitskräfte und Sklaverei war Bestandteil des profitträchtigsten Landwirtschaftszweigs. Fast dreiviertel der Sklaven in der Neuen Welt wurden beim Zuckerrohranbau eingesetzt. Der Sklaven-Import in die Neue Welt gilt als größter Einzelbeitrag Europas, der jemals zum ökonomischen Wachstum beigetragen hat. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts waren die karibischen Zuckerfarmen der Motor für den Wirtschaftsaufschwung in Europa.

Der sogenannte Dreieckshandel war höchst effektiv: Von Europa aus fuhren mit Waffen, Stahl-, Glasperlen und Tuchwaren beladene Schiffe an die westafrikanische Küste (zwischen Kamerun und Liberia), wo die Güter gegen Sklaven eingetauscht wurden. Die Sklaven wurden auf Markten von lokalen Händlern gekauft. Die Schiffe steuerten dabei die Karibik an, wo vom Erlös der Sklaven landwirtschaftliche Erzeugnisse Rohrzucker, Rum und Melasse sowie Baumwolle erstanden wurden. Mit reicher Beute segelten sie in ihre Heimathäfen zurück, um die Fracht auf dem europäischen Markt zu verkaufen.

DIE SKLAVENDEPORTATION

Die Überfahrt war ein Alptraum: Die Sklaven wurden angekettet und hockten während der Überfahrt in ihren eigenen Exkrementen. Die mehr als vierwöchige Tortur überlebten viele nicht. Um diesen „Verlust“ zu kompensieren, wurden mehr als an Bord passten auf die auf Massen-Pritschen angekettet. Das Sklavenschiff „Henrietta Marie“ konnte bis zu 400 Sklaven befördern, die auf zwei Decks untergebracht waren. Die Sklaven verbrachten die wochenlange Passage angekettet auf je einem halben Quadratmeter. Wenn die überladenen Schiffe sanken, rissen sie die Sklaven mit in die Tiefe und in den sicheren Tod. 40 Millionen Sklaven wurden verschifft. In der Neuen Welt kamen rund 13 Millionen lebendig an. 

DIE TAGEBÜCHER DES THISTLEWOOD

Die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen war hart, die Arbeitszeiten lang und Sadisten wie der britische Aufseher Thomas Thistlewood, der mit brutaler Gewalt Sklaven quälte, können anhand seiner akribischen Tagebuchaufzeichnungen als sicher bestätigt werden: Sklaven, die fliehen wollten oder Nahrung stahlen, wurden von ihm fast totgeprügelt. Er entwickelte die Strafe „Derby’s dose“: Nach dem Auspeitschen wurden die Wunden mit Pfeffer, Salz, Chilli und Limonen eingerieben. Wenn Sklaven dabei erwischt wurden, wie sie an Zuckerrohr kauten, wurden sie gefesselt und der Mund mit Exkrementen eines anderen Sklaven vollgestopft – er schrieb in seinem Tagebuch „Dann setzte sich der Sklave auf seinen Mund und schiss ihn voll“. Danach wurde das Opfer geknebelt und musste mit vollem Mund weiter arbeiten. Einige übergaben sich dabei und erstickten am Erbrochenen. Folter, Vergewaltigung und  Mord gehörte zur Tagesordnung. Totschlag war zwar selbst an Sklaven nicht erlaubt, aber wenn die Opfer an den Folgen der Folter starben, galt es nicht mehr Mord. Hunderttausende Sklaven litten unter ähnlichen Sadisten wie Thistlewood und wurden gepeinigt, zur Strafe in Erdlöchern verbuddelt. Vielen wurden bei kleinsten Straftaten die Extremitäten abgeschlagen.

GUADELOUPE UND DIE VERMEINTLICHE BEFREIUNG

 Sonnenanbeter haben am Raisins Clairs auf der Guadeloupe schon Totenschädel, Zähne, Sargnägel und Menschenknochen gefunden – erst 2013, als beim Tropen-Hurricane große Teile des Strands abgetragen wurden, kam die Vergangenheit zum Vorschein: Ein Friedhof mit mehr als 1000 Gräbern, auf dem bis ins 19. Jahrhundert hinein die Leichen von Sklaven vergraben wurden. Was ist damals passiert? 1789 beendet die Französische Revolution die Monarchie von Ludwig XIV. Kaufmann Victor Hugues, Gesandter der Regierung, sollte  auch die Kolonien befreien, denn 85 Prozent der Bewohner arbeiten als Sklaven in Plantagen. Dort angekommen kämpfte er zunächst mit den erlösten Sklaven gegen die Briten, die die Insel besetzt hielten und tötete die wichtigsten Offiziere mit seiner transportablen Guillotine. Aus dem Befreier wurde allerdings nur ein neuer Despot: Die Sklaven waren nach der Befreiung nicht mehr gewillt, die körperlich harte Arbeit auszuüben von denen Frankreich gut lebte. Der Befreier Hugues wandelt sich nun zum Schlächter. Sklaven, die sich weigern zu arbeiten, wurden mit dem Fallbeil um einen Kopf kürzer gemacht. Als die Wut der Sklaven zum Höhepunkt kommt, ruft er Truppen aus Frankreich. Doch die Stimmen im Heimatland gegen Hughes werden lauter und 1799 wird der Sklavenhalter auf Druck der Herrscher abgelöst. 

HAITI UND DIE SKLAVENREBELLION

Heute ist Haiti  bettelarm: 2010 gebeutelt vom Erdbeben, vernichtet durch Hunger und zerrüttet durch Korruption ist die Insel nicht nur das Armenhaus der Karibik, sondern das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Von den 15 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung nach der Naturkatastrophe kam nur ein Bruchteil bei der Bevölkerung an: Korrupte Machthaber haben sich daran eine goldene Nase verdient, während Haiti am Abgrund ist.

Das war nicht immer so: Die „Perle der Antillen“ war früher die reichste der französischen Kolonien! Haiti war der erste unabhängige Staat der Karibik und hier gab es die effektivste Sklavenrebellion der Welt – kaum zu glauben, oder? Im Zuge der Französischen Revolution von 1789 gab  es einen Sklavenaufstand. Die Anführer „L´Ouverture“ François-Dominique Toussant und der spätere „Jacob I., Kaiser von Haiti“ Jean-Jaques Dessalines. Innerhalb von vier Monaten wurden beim Sklavenaufstand 3000 Weiße ermordet. Insgesamt kamen mehr als 300.000 Einwohner durch Kämpfe und Krankheiten wie Gelbfieber um. Nur 13 Jahre später war Haiti frei von der Sklaverei. Der gekrönte, brutale und skrupellose Kaiser von Haiti lebte allerdings auch nicht mehr lange. Natürlich hatte er viele Feinde und wurde 1806 von Attentätern in einem Hinterhalt umgebracht und zerstückelt. Historiker bezeichnen ihn als blutrünstigen Tyrannen, das Volk liebt ihn. Die Nationalhymne von Haiti heißt „La Dessalinienne“ – noch Fragen?

DAS ENDE DER SKLAVEREI

1807 verbietet England den Sklavenhandel, 1834 auch den Besitz. Natürlich gab es moralische Motive, die sich auf die christliche Nächstenliebe begründeten, aber nicht zu leugnen bleibt die Tatsache, dass wirtschaftliche Gründe eine große Motivation waren: Die Zuckerpreise waren deutlich gesunken und die Rentabilität einiger Plantagen war gefährdet. Um diese Zeit war der Zucker vom „Luxus der Könige“ zum „Königlichen Luxus der Bürger“ geworden. Daher üben die Briten Druck auf die anderen Kolonialmächte aus. 1848 folgen Frankreich und Dänemark. Die Dänen haben sich die heutigen US-Virgin-Islands unter den Nagel gerissen, an denen auch das Deutsche Reich interessiert war. 1863 folgen die Niederlande. Als letzte Kolonialmacht schloss sich 1886 auch Spanien an. Seit 1886 ist damit offiziell die Sklaverei beendet. Spanien ist zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Kolonialmacht von vielen. Hispaniola und Jamaika sind nach Kämpfen mit England und Frankreich schon lange nicht mehr in ihrem Besitz. 1898 verlieren die Spanier in einem Krieg gegen die USA mit Kuba und Puerto Rico ihre letzten beiden Kolonien. Briten, Franzosen, Niederländer und Dänen haben die karibische Inselwelt kolonialisiert.

Michael Krüger

Ist in der Medien- und Musikszene als Journalist, Texter und Kreativer aktiv. Nach Studium, Akademie & Volontariat fest oder frei in Redaktionen und Agenturen sowie als Reisejournalist und Artworker tätig.