Geschichte

Die dunkle Seite der Karibik: 3. Der „Schwarze Holocaust“

Der Genozid oder Holocaust ist keine Nazi-Erfindung, sondern so alt wie die Menschheitsgeschichte, auch wenn der industrielle Holocaust im Dritten Reich zu Recht als „Crimes of Crime“ gilt. Völkermorde gab es in allen Epochen in nahezu allen Regionen der Welt. In der Neuzeit werden die Gräueltaten in erster Linie mit dem Kolonialismus durch Europäer in Verbindung gebracht. Zwischen 1450 und 1880 wurden rund 13 Millionen Afrikaner aus dem Schwarzen Kontinent verschifft. 50 Millionen Opfer soll es gegeben haben – mitunter als „Schwarzer Holocaust“ betitelt. Die Black-Power-Bewegung bezeichnet es als „Das Verbrechen des Jahrtausends“ mit 100 Millionen Toten. Im Gegensatz zu den deutschen Zahlungen an Israel und Holocaust-Überlebende hätten die US-Amerikaner, die ihren Reichtum auf Sklaverei gründen, zum Thema Reparationen geschwiegen.

 
 

ZUCKERROHR UND PEITSCHE

Womit machten die Eroberer das große Geld? Mit Tabak? Baumwolle? Gewürzen? Das Kokain dieses Zeitalters war zwar auch weiß, aber süß: Zucker. Das Geschäft mit dem begehrten Süßstoff hat gigantische Kapitalströme in Gang gesetzt, Hochseeflotten entstehen lassen und teils freiwillige, teils erzwungene Völkerwanderungen ausgelöst. Um 1640 beginnt der großflächige Anbau von Zuckerrohr. Dazu brauchten die Eroberer günstige Arbeitskräfte und Sklaverei war Bestandteil des profitträchtigsten Landwirtschaftszweigs. Fast dreiviertel der Sklaven in der Neuen Welt wurden beim Zuckerrohranbau eingesetzt. Der Sklaven-Import in die Neue Welt gilt als größter Einzelbeitrag Europas, der jemals zum ökonomischen Wachstum beigetragen hat. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts waren die karibischen Zuckerfarmen der Motor für den Wirtschaftsaufschwung in Europa.

Der sogenannte Dreieckshandel war höchst effektiv: Von Europa aus fuhren mit Waffen, Stahl-, Glasperlen und Tuchwaren beladene Schiffe an die westafrikanische Küste (zwischen Kamerun und Liberia), wo die Güter gegen Sklaven eingetauscht wurden. Die Sklaven wurden auf Markten von lokalen Händlern gekauft. Die Schiffe steuerten dabei die Karibik an, wo vom Erlös der Sklaven landwirtschaftliche Erzeugnisse Rohrzucker, Rum und Melasse sowie Baumwolle erstanden wurden. Mit reicher Beute segelten sie in ihre Heimathäfen zurück, um die Fracht auf dem europäischen Markt zu verkaufen.

DIE SKLAVENDEPORTATION

Die Überfahrt war ein Alptraum: Die Sklaven wurden angekettet und hockten während der Überfahrt in ihren eigenen Exkrementen. Die mehr als vierwöchige Tortur überlebten viele nicht. Um diesen „Verlust“ zu kompensieren, wurden mehr als an Bord passten auf die auf Massen-Pritschen angekettet. Das Sklavenschiff „Henrietta Marie“ konnte bis zu 400 Sklaven befördern, die auf zwei Decks untergebracht waren. Die Sklaven verbrachten die wochenlange Passage angekettet auf je einem halben Quadratmeter. Wenn die überladenen Schiffe sanken, rissen sie die Sklaven mit in die Tiefe und in den sicheren Tod. 40 Millionen Sklaven wurden verschifft. In der Neuen Welt kamen rund 13 Millionen lebendig an. 

DIE TAGEBÜCHER DES THISTLEWOOD

Die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen war hart, die Arbeitszeiten lang und Sadisten wie der britische Aufseher Thomas Thistlewood, der mit brutaler Gewalt Sklaven quälte, können anhand seiner akribischen Tagebuchaufzeichnungen als sicher bestätigt werden: Sklaven, die fliehen wollten oder Nahrung stahlen, wurden von ihm fast totgeprügelt. Er entwickelte die Strafe „Derby’s dose“: Nach dem Auspeitschen wurden die Wunden mit Pfeffer, Salz, Chilli und Limonen eingerieben. Wenn Sklaven dabei erwischt wurden, wie sie an Zuckerrohr kauten, wurden sie gefesselt und der Mund mit Exkrementen eines anderen Sklaven vollgestopft – er schrieb in seinem Tagebuch „Dann setzte sich der Sklave auf seinen Mund und schiss ihn voll“. Danach wurde das Opfer geknebelt und musste mit vollem Mund weiter arbeiten. Einige übergaben sich dabei und erstickten am Erbrochenen. Folter, Vergewaltigung und  Mord gehörte zur Tagesordnung. Totschlag war zwar selbst an Sklaven nicht erlaubt, aber wenn die Opfer an den Folgen der Folter starben, galt es nicht mehr Mord. Hunderttausende Sklaven litten unter ähnlichen Sadisten wie Thistlewood und wurden gepeinigt, zur Strafe in Erdlöchern verbuddelt. Vielen wurden bei kleinsten Straftaten die Extremitäten abgeschlagen.

GUADELOUPE UND DIE VERMEINTLICHE BEFREIUNG

 Sonnenanbeter haben am Raisins Clairs auf der Guadeloupe schon Totenschädel, Zähne, Sargnägel und Menschenknochen gefunden – erst 2013, als beim Tropen-Hurricane große Teile des Strands abgetragen wurden, kam die Vergangenheit zum Vorschein: Ein Friedhof mit mehr als 1000 Gräbern, auf dem bis ins 19. Jahrhundert hinein die Leichen von Sklaven vergraben wurden. Was ist damals passiert? 1789 beendet die Französische Revolution die Monarchie von Ludwig XIV. Kaufmann Victor Hugues, Gesandter der Regierung, sollte  auch die Kolonien befreien, denn 85 Prozent der Bewohner arbeiten als Sklaven in Plantagen. Dort angekommen kämpfte er zunächst mit den erlösten Sklaven gegen die Briten, die die Insel besetzt hielten und tötete die wichtigsten Offiziere mit seiner transportablen Guillotine. Aus dem Befreier wurde allerdings nur ein neuer Despot: Die Sklaven waren nach der Befreiung nicht mehr gewillt, die körperlich harte Arbeit auszuüben von denen Frankreich gut lebte. Der Befreier Hugues wandelt sich nun zum Schlächter. Sklaven, die sich weigern zu arbeiten, wurden mit dem Fallbeil um einen Kopf kürzer gemacht. Als die Wut der Sklaven zum Höhepunkt kommt, ruft er Truppen aus Frankreich. Doch die Stimmen im Heimatland gegen Hughes werden lauter und 1799 wird der Sklavenhalter auf Druck der Herrscher abgelöst. 

HAITI UND DIE SKLAVENREBELLION

Heute ist Haiti  bettelarm: 2010 gebeutelt vom Erdbeben, vernichtet durch Hunger und zerrüttet durch Korruption ist die Insel nicht nur das Armenhaus der Karibik, sondern das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Von den 15 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung nach der Naturkatastrophe kam nur ein Bruchteil bei der Bevölkerung an: Korrupte Machthaber haben sich daran eine goldene Nase verdient, während Haiti am Abgrund ist.

Das war nicht immer so: Die „Perle der Antillen“ war früher die reichste der französischen Kolonien! Haiti war der erste unabhängige Staat der Karibik und hier gab es die effektivste Sklavenrebellion der Welt – kaum zu glauben, oder? Im Zuge der Französischen Revolution von 1789 gab  es einen Sklavenaufstand. Die Anführer „L´Ouverture“ François-Dominique Toussant und der spätere „Jacob I., Kaiser von Haiti“ Jean-Jaques Dessalines. Innerhalb von vier Monaten wurden beim Sklavenaufstand 3000 Weiße ermordet. Insgesamt kamen mehr als 300.000 Einwohner durch Kämpfe und Krankheiten wie Gelbfieber um. Nur 13 Jahre später war Haiti frei von der Sklaverei. Der gekrönte, brutale und skrupellose Kaiser von Haiti lebte allerdings auch nicht mehr lange. Natürlich hatte er viele Feinde und wurde 1806 von Attentätern in einem Hinterhalt umgebracht und zerstückelt. Historiker bezeichnen ihn als blutrünstigen Tyrannen, das Volk liebt ihn. Die Nationalhymne von Haiti heißt „La Dessalinienne“ – noch Fragen?


DAS ENDE DER SKLAVEREI

1807 verbietet England den Sklavenhandel, 1834 auch den Besitz. Natürlich gab es moralische Motive, die sich auf die christliche Nächstenliebe begründeten, aber nicht zu leugnen bleibt die Tatsache, dass wirtschaftliche Gründe eine große Motivation waren: Die Zuckerpreise waren deutlich gesunken und die Rentabilität einiger Plantagen war gefährdet. Um diese Zeit war der Zucker vom „Luxus der Könige“ zum „Königlichen Luxus der Bürger“ geworden. Daher üben die Briten Druck auf die anderen Kolonialmächte aus. 1848 folgen Frankreich und Dänemark. Die Dänen haben sich die heutigen US-Virgin-Islands unter den Nagel gerissen, an denen auch das Deutsche Reich interessiert war. 1863 folgen die Niederlande. Als letzte Kolonialmacht schloss sich 1886 auch Spanien an. Seit 1886 ist damit offiziell die Sklaverei beendet. Spanien ist zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Kolonialmacht von vielen. Hispaniola und Jamaika sind nach Kämpfen mit England und Frankreich schon lange nicht mehr in ihrem Besitz. 1898 verlieren die Spanier in einem Krieg gegen die USA mit Kuba und Puerto Rico ihre letzten beiden Kolonien. Briten, Franzosen, Niederländer und Dänen haben die karibische Inselwelt kolonialisiert.

Michael Krüger

Ist in der Medien- und Musikszene als Journalist, Texter und Kreativer aktiv. Nach Studium, Akademie & Volontariat fest oder frei in Redaktionen und Agenturen sowie als Reisejournalist und Artworker tätig. Für seine Reisereportagen wurde er mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet.