Geschichte

Kuba im Spiegel der Geschichte 5: (1991-2022)

Aufgrund seines Gesundheitszustands zog sich Fidel Castro aus der Politik zurück und übergab seinem Bruder Raúl die Regierungsgeschäfte. Im Hintergrund behielt er jedoch weiterhin Einfluss, so erklärt es sich, dass dringend überfällige Reformschritte nur in symbolischen Dosen vollzogen wurden. Auch nach Fidels Tod agierte sein Nachfolger noch bis zu seinem 85. Lebensjahr kraftlos. Dessen Nachfolger fehlt das Charisma der alten Garde der Revolutionäre. Aktuell ist die Regierung mit Protesten in nie bekanntem Umfang konfrontiert – die Verzweiflung der Bevölkerung, der Hunger und die Sorge wegen der Unfähigkeit der Regierung mit der Corona-Pandemie fertig zu werden, sind größer als die Angst vor dem noch immer existierenden Sicherheitsapparat der Machthaber.

1995: KUBA UND DER TOURISMUS – AUTHENTISCH UND HERZLICH

Während Landwirtschaft und Industrie eine schwere Krise erlebten, blühte der Tourismus in Kuba auf. Auch die Bevölkerung profitierte davon, denn die seit 1995 ganz offiziell zugelassenen „casas particulares“, private Unterkünfte, gestatteten den Kubanern unternehmerisches Engagement.

Tatsächlich waren es vorrangig Mittelschichtangehörige und Parteifunktionäre, die überhaupt über geeigneten Wohnraum verfügten. Die zertifizierten Unterkünfte werden regelmäßig von der Tourismusbehörde kontrolliert und müssen Abgaben zahlen. 

Die „casas particulares“ stellen bis heute eine attraktive und günstige Art zu reisen dar und dabei in direkten Kontakt zu den offenen, herzlichen und gastfreundlichen Menschen zu kommen, einen Einblick in den kubanischen Alltag zu gewinnen und viele Tipps und Informationen zu bekommen. Oft gibt es auch typisch kubanische Mahlzeiten. Die Unterkünfte sind in der Regel sehr liebevoll eingerichtet, verfügen vielfach über koloniale, antiquarische, gut gepflegte Möbel und befinden sich häufig in Stadthäusern von nostalgischer Pracht. 

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2006-2016: FIDEL CASTROS RÜCKZUG UND SEINE LETZTEN JAHRE

Nach einer Magen-Darm-Operation im Juli 2006 zog sich Fidel Castro angeblich vorübergehend aus dem Regierungsgeschäft zurück. Seine Ämter übernahm sein Bruder Raúl Castro, der zu dem Zeitpunkt 75 Jahre alt war. Zwei Jahre später war jedoch klar, dass Fidel aus gesundheitlichen Gründen nicht zurückkehren würde. Raúl, inzwischen gewählter Staats- und Regierungschef, kündigte Wirtschaftsreformen an, wollte jedoch am sozialistischen Kurs festhalten. Er kassierte auch einige skurrile Verbote: Von nun an durften Kubaner in Hotels übernachten, Autos mieten, einen Mobilfunkvertrag abschließen, DVD-Player und Mikrowellengeräte erwerben. Seine Reformen in Wirtschaft und Landwirtschaft führten jedoch zu einer zunehmenden sozialen Ungleichheit in der Bevölkerung, denn nicht alle konnten mit den Veränderungen Schritt halten oder hatten die Möglichkeit dazu.

Offiziell galt Fidel als Berater seines Bruders Raúl, möglicherweise war sein Einfluss aber größer. In Kolumnen, die in vielen Medien Kubas veröffentlicht wurden, reflektierte er über aktuelle Themen. Gelegentlich empfing er politische Gäste zum privaten Austausch, darunter auch Jimmy Carter und Papst Benedikt XVI. Ab 2009, als er seine Krankheit besiegt zu haben schien, griff er verstärkt innenpolitische Themen auf und bremste damit möglicherweise Reformbestrebungen seines Bruders. Für Verwunderung sorgte Fidel im Jahr 2010 mit seinem Lob für den litauischen Verschwörungstheoretiker Daniel Estulin. Dabei ging er sogar mit Estulins Behauptung konform, dass Osama Bin Laden ein CIA-Agent gewesen sei. Einen Monat später verblüffte er in einem Interview dem amerikanischen Journalisten Jeffrey Goldberg mit dem Satz: „Das kubanische Modell funktioniert selbst bei uns nicht mehr.“ Später jedoch erklärte er dazu, man habe seine Ironie wohl nicht verstanden. Ende des Jahres 2014 kam es unter der Präsidentschaft von Barack Obama zu einer Annäherung an die USA: Diplomatische Beziehungen wurden wieder aufgenommen und das Jahrzehnte währende Wirtschaftsembargo wurde gemildert. Den ersten Besuch eines amerikanischen Präsidenten seit 88 Jahren im März 2016 kommentierte Fidel allerdings öffentlich mit den Worten: „Wir haben es nicht nötig, dass uns das Imperium etwas schenkt.“ 

Acht Monate später, am 25. November 2016, starb der Mann, der mehr als 600 Attentatsversuche überlebt hatte, im Alter von 90 Jahren in Havanna. Fast 50 Jahre war Fidel Castro, der anfangs als Befreier gefeiert wurde und sich schon bald als Diktator entpuppte, an der Macht geblieben. Die Hoffnungen der Bevölkerung auf Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundsätze wurden bitter enttäuscht. Fidel schuf ein System der Kontrolle und gegenseitiger Bespitzelung, mehr als 5.000 Menschen ließ er hinrichten, Hunderte ertranken beim Versuch, über das Meer zu fliehen. 

Wer als „Konterrevolutionär“, „CIA-Agent“ oder „Faschist“ galt, wurde ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert. Viele landeten in Arbeitslagern, auch Menschen, die als sozial abweichend, homosexuell oder HIV-infiziert galten. Einige Quellen sprechen von 40.000 bis 50.000 politischen Gefangenen. Seit 2003 wurden Todesurteile nicht mehr vollstreckt. Unter Raúl Castro wurden politische Häftlinge bis März 2011 entlassen und alle Todesurteile bis Ende 2010 in Haftstrafen umgewandelt. </p><p style=“font-variant-caps: normal; font-style: normal;“>Der fast zwei Meter große, bärtige Mann, der sich in olivfarbenem Camouflage am wohlsten fühlte, galt in jungen Jahren als Frauenheld. Er wird jedoch auch als schüchterner und unsicherer Romantiker beschrieben, der sich oft auf den ersten Blick verliebte und dann stammelte wie ein Dorftrottel. Sein Privatleben schützte er jedoch streng. Neun Kinder von vier Frauen soll er haben, wer weiß, vielleicht sind es auch mehr. Zeit sich um sie zu kümmern, nahm er sich nie. Fröhliche Feste sprengte der Tanzmuffel mit seinen politischen Diskussionen, seine ausufernden Reden waren beinahe gefürchtet. Viel Luxus gestattete er sich offenbar nicht, wenn man von seiner Vorliebe für Havanna-Zigarren und Schokoladeneis absieht. In seinen letzten Lebensjahren erschien er immer in einer Trainingsjacke, er fand wohl selbst, dass die Attitüde des Guerilleros nicht mehr zu ihm passte.

2017: KUBA NACH DER ÄRA FIDEL

Raúl Castro hat kein einfaches Erbe angetreten. Alles in Kuba ist marode, die Gebäude, die Straßen, die Stromversorgung, die Wasserversorgung, das Telefonnetz. Moderne Technologien wie das Internet wurden bewusst vernachlässigt. Hinzu tritt die anhaltende Wirtschaftskrise in Verbindung mit der problematischen Versorgung mit Lebensmitteln. Dennoch hat er sich für eine vorsichtige wirtschaftliche Öffnung eingesetzt. Die politische Verfolgung von Andersdenkenden betrieb er jedoch ebenfalls unnachgiebig. Im Alter von 85 Jahren trat er als Staats- und Regierungschef zurück, behielt jedoch den Vorsitz der Kommunistischen Partei und damit die Macht im Staat. 

Miguel Díaz-Canel, Jahrgang 1960, hat im April 2018 seine Nachfolge angetreten. Der ehemalige Stellvertreter Castros verfolgt den behutsamen Reformweg, obwohl mutige Schritte überfällig wären. So besteht die Wirtschaftskrise, die für Kuba längst Normalzustand zu sein scheint, weiterhin fort. Unter US-Präsident Donald Trump hat sie sich noch weiter verstärkt, denn er hat das unter Barack Obama gelockerte Wirtschafts-Embargo wieder verschärft. Auch die verbilligten Erdöllieferungen aus Venezuela werden knapper, denn das Land hat längst eigene, riesige Wirtschaftsprobleme.

Seit Anfang 2019 hat Kuba eine neue Verfassung, die einige Formen des Privateigentums erlaubt und – in begrenztem Rahmen – auch ausländische Investitionen gestattet. In dieser Zeit wurde auch die regierungskritische Bewegung San-Isidro gegründet, in der sich Intellektuelle und Kunstschaffende für Künstlerische Freiheit und freie Meinungsäußerung einsetzen. International wurde die Bewegung im November 2020 bekannt, als der Rapper Denis Solís wegen seines kritischen Verhaltens zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt wurde und mehrere Künstler solidarisch in einen Hungerstreik traten. Eine gute Woche später demonstrierten vor allem jüngere Künstler vor dem Kulturministerium in Havanna gegen die Zensur. Was mit rund 20 Demonstranten begann, wuchs im Lauf des Tages um das zehnfache. Es beteiligten sich auch prominente Schauspieler und Filmemacher. Unter dem Vorwand, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten gegen Corona-Regeln verstoßen, räumten die Sicherheitskräfte die Demonstration. 

AB 2021: MASSENPROTEST 2.0

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaftskrise in Kuba zusätzlich angeheizt: Touristen bleiben aus, damit aber auch dringend benötigte Devisen. Es mangelt an allem: Benzin, Lebensmittel, Medikamente, Strom. Zudem bringt die Corona-Situation das jahrelang als hoch leistungsfähig gelobte Gesundheitssystem Kubas an seine Grenzen. Hinzu kommt eine hohe Inflation und Preissteigerungen resultierend aus der Währungsreform, die zum Jahreswechsel 2020/2021 erfolgte.

Im Juli 2021 kam es zu den ersten Massenprotesten in Kuba seit Jahrzehnten. Hunger und die Angst wegen der Hilflosigkeit der Regierung im Umgang mit der Corona-Pandemie hatte den Volkszorn zum Überkochen gebracht. Tausende forderten das Ende der Diktatur – und zwar an mehreren Orten auf der Insel, es kam zu Plünderungen, sogar Bilder von Fidel Castro wurden zerstört. Die Regierung reagierte auf die Proteste in seit Jahrzehnten eingeübter Weise: Schuld an allem seien von den USA finanzierte Konterrevolutionäre, die das Land destabilisieren sollten. Die Sicherheitskräfte und Spezialeinheiten agierten in gewohnt brutaler Manier, ein Mann kam ums Leben, 115 Personen wurden festgenommen, allerdings sprechen manche Quellen von 5.000 Verhafteten. Haftstrafen und Hausarrest bis zu einem Jahr wurden ausgesprochen, auch für Minderjährige. Es kam sogar zu Festnahmen von bekannten Oppositionellen, die ohne formelle Anklage in Haft kamen. Für das Zerreißen eines Plakats, das Fidel Castro zeigte, wurde ein Demonstrant zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt. 

Die Verfügbarkeit des mobilen Internets hat ermöglicht, was der kubanische Sicherheitsapparat mit seiner Repression und Bespitzelung über Jahrzehnte erfolgreich unterdrücken konnte: Die zeitechte Information per Live-Streams und soziale Medien im ganzen Land. Zwar wurde der Internetzugang sogleich eingeschränkt, dennoch ist das Ausmaß der Unzufriedenheit im Polizeistaat offenbar geworden. 

Und noch etwas wurde offenbar: Präsident Díaz-Canel hat nicht das Charisma eines Fidel Castro. Er, der erst nach der Revolution geboren wurde, verfügt nicht über die Faszination der bärtigen Guerilla-Kämpfer. Nicht er hat es geschafft, die zornigen Massen zu beruhigen, sondern – was für eine Schmach – er holte den 90-jährigen Raúl aus seiner Rentnergruft. Dieser erschien dann eine Woche später zu einer Kundgebung zur „revolutionären Bekräftigung“ im alten Tarnanzug. Darauf und auf seinen Überwachungsapparat, der zu den besten der Welt zählt und einen erfolgreichen Exportschlager für andere Diktaturen darstellt, kann sich das Regime noch verlassen. 

Auch in den Tagen danach war das Internet weiterhin blockiert. US-Präsident Joe Biden stellte Impfstofflieferungen in Aussicht und die Prüfung von alternativen Zugängen zum Internet. Auch der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador bot Hilfe an mittels Lebensmittellieferungen sowie Medikamente und Impfstoffe. Seitens der kubanischen Regierung wurden Erleichterungen bei der Einfuhr von Waren angekündigt. 

Bettina Bormann

Geboren in Neustadt an der Weinstraße, aufgewachsen in Hameln, der Rattenfängerstadt. Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen (Sozialpsychologie, Soziologie, Kriminologie, Strafrecht, Sozialpolitik), drei Jahre in der kriminologischen Forschung (Sonderforschungsbereich der Uni Bielefeld). Ausbildung zur Mediendesignerin (CDI, Göttingen) und Redaktionsvolontariat. Seitdem fest und frei - PR und Journalismus - heute PR und freie Reisejournalistin. Bettina Bormann lebt und arbeitet seit 1995 in Hamburg.