Geschichte

Kuba im Spiegel der Geschichte 6: Persönliche Impressionen

Wer Havanna besucht, ist begeistert von dem nostalgischen Charme und der stilvollen Patina der einstmals prächtigen Gebäude. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, dass in allen diesen teilweise bestürzend verfallenen Häusern Menschen leben – und das unter prekären Bedingungen. Wer sich im Treppenhaus die Zeit nimmt, einen Blick auf die Stromkabel zu werfen, die in einer Nische hinter Gittern in wollknäuelartigen Büscheln angebracht sind, ist schnell ernüchtert. Stromausfälle sind an der Tagesordnung.

MALECON, MANGELWIRTSCHAFT UND MARODE STRASSENKREUZER

Romantisch, fast heimelig sieht es aus, wenn die Menschen abends am Malecón sitzen, der berühmten Uferpromenade in Havanna – ein Postkartenmotiv vor karibischer See. Sie trinken, spielen, musizieren, unterhalten sich. Gern gesellen sich Touristen dazu, und schnell entwickeln sich nette Gespräche mit den Einheimischen. Für die Menschen, die dort leben jedoch, ist der Platz draußen schlicht die bessere Alternative, als in baufälligen und engen Wohnungen zu sitzen. 

Auch die romantisierten bonbonfarbenen, amerikanischen Straßenkreuzer deuten weniger darauf hin, dass in Kuba besonders viele Liebhaber von Oldtimern leben, sondern eher darauf, dass einfach nichts anderes zu haben ist. Und so pflegt man die Fahrzeuge seit Jahrzehnten mit Geduld, gewaltigem Improvisations- und Organisationstalent und im vollen Bewusstsein des Werts der Dinge. Weggeworfen wird hier nichts, hier wird repariert, recycelt, wieder nutzbar gemacht und immer und immer weiter verwendet. Die kubanischen Handwerker gelten als die geschicktesten der Welt. 

Casas Particulares, aber auch private Restaurants stellen eine legale Chance für Kubaner dar, Geld zu verdienen und sogar Arbeitsplätze zu schaffen. Die privaten Restaurants bieten kubanische Küche in der Wohnung der Gastgeber. Beim Eintreffen werden wir durch die gute Stube auf den Balkon mit Blick auf den Malecón geführt. Wir werden köstlich bewirtet. Als ich den Waschraum aufsuchen möchte, winkt man mich durch die Küche, wo ein alter Mann vor dem Fernseher sitzt. Das Bad, das ich dann betrete, ist das private Badezimmer der Familie. Zahnbürsten stehen in einem Becher auf dem Rand des Waschbeckens – ein sehr naher Einblick in den Alltag der Menschen. 

Wenn eine Gesellschaft vom Mangel geprägt ist, sind alle abhängig von gegenseitiger Hilfestellung und davon, dass jeder einen kennt, der einen kennt, der etwas organisieren kann. Vielleicht rührt die schon fast sprichwörtliche Hilfsbereitschaft der Kubaner daher, vielleicht aber auch von der erfolgreichen Sozialisation gemäß dem Menschenbild Che Guevaras. Persönlich hatte ich ein Erlebnis dazu, das ich nicht vergessen werde: Eine Kubanerin und ein Kubaner, die sich in der Wartehalle vor dem Abflug in Havanna kennengelernt hatten, gingen, um sich die Zeit zu vertreiben, zusammen etwas trinken. Mich baten sie, auf ihr Gepäck zu achten, was ich gern übernahm. Als sie nach geraumer Zeit zurückkamen, plauderten wir noch ein Weilchen. Dann wurde der Flug aufgerufen, ich verlor die beiden aus den Augen. Stunden später, als wir in Hamburg gelandet waren und sich die Reisenden im Gewusel vor dem Gepäckband einfanden, musste ich lange auf meinen schweren Koffer mit Tauch- und Kameraausrüstung warten. Viele waren bereits mit ihrem Gepäck verschwunden. Dann sah ich die beiden Kubaner wieder, sie hatten längst ihre Koffer bei sich, und wie es aussah, hielten sie angestrengt nach mir Ausschau. Als sie mich entdeckten, eilten sie mit fröhlichen Gesichtern auf mich zu. Fast im selben Moment kam mein Trolley auf dem Gepäckband angerollt, der Mann stürzte sich darauf und hob ihn für mich herunter. Ein strahlendes Lächeln, frohe Weiterreisewünsche – und die beiden verschwanden ihrer Wege. 

Bettina Bormann

Geboren in Neustadt an der Weinstraße, aufgewachsen in Hameln, der Rattenfängerstadt. Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen (Sozialpsychologie, Soziologie, Kriminologie, Strafrecht, Sozialpolitik), drei Jahre in der kriminologischen Forschung (Sonderforschungsbereich der Uni Bielefeld). Ausbildung zur Mediendesignerin (CDI, Göttingen) und Redaktionsvolontariat. Seitdem fest und frei - PR und Journalismus - heute PR und freie Reisejournalistin. Bettina Bormann lebt und arbeitet seit 1995 in Hamburg.