KolumneReise & Flüge

Willkommen in der Holzklasse!

War bei der letzten Traumreise wirklich alles so großartig? Die menschliche Gabe, Unangenehmes zu vergessen ist wunderbar. Verdrängt sind die Reisestrapazen und die endlose Zeit, die beim Fernflug stillzustehen scheint: Stundenlange Ansteherei, nervige Check-Ins und eingezwängte Hockerei sind nach der Landung wie von der Festplatte gelöscht.

Airline hostess passing meal to female passenger

VERKOCHTE PAMPE IN DER HOLZKLASSE

Kennen Sie das? Während in der Business-Class die Champagner-Kelche klirren und das Aroma des raffinierten Drei-Gänge-Dinners verführerisch durch die Gänge schwebt, klappern  in der Holzklasse die Plastik-Teller. „Pasta or Curry?“ Im Akkord werden Speise-Rationen auf den Klapptabletts der eingezwängten Gäste verteilt. Und wenn man sich die Fingerkuppen verbrennt, um die heiße Alufolie von der Schachtel zu ziehen, kitzelt statt versprochener indischer Gewürzwelten nur Wasserdampf in der Nase. Die verkochte Pampe klebt wie Mörtel an den Zähnen. Zum Formfleisch-Menü werden gern welke Brötchen sowie ein geschmacksneutraler Salat als Horsd’œuvre gereicht. Eine Weintraube, die jeweils von einem Kiwi-, Melonen- und Ananas-Klotz gestützt wird, rundet das fahle Dosenfrucht-Dessert ab. Den Digestif ersetzen häufig staubtrockene, einzeln verpackte Kekse, die selbst ein eingefleischter norddeutscher Krabbenpuler kaum aus der Hülle befreien könnte, ohne 1000 Brösel auf dem Sitz zu verteilen.
 

DECKEN UND KISSEN WERDEN NICHT GEREINIGT

Das Problem: Vom Genuss der Speisereste, die das geschützte Terrain verlassen haben, ist unbedingt abzuraten. Erstens werden die Decken und Kissen, die im Jet liegen, nur zusammengefaltet und in eine neue Plastikhülle gestopft. Zweitens werden auch die Tabletts selten oder gar nicht desinfiziert, falls man das nicht selbst macht. Und drittens wäre eine Bückbewegung in dieser Flug-Phase unmöglich, denn nach dem Dinner drückt der Vordermann gern die Lehne auf die Endposition, falls man keinen „Knee Defender“ besitzt, der das verhindert. Eine gefühlte Stunde dauert es, bis man von der Servierkraft aus der Ölsardinen-Position befreit wird.

NEBEN DER BORDTOILETTE WIRD ES NICHT LANGWEILIG

Wahrscheinlich möchte auch der Nachbar zeitgleich auf das WC. Wer schon mal das Vergnügen hatte, einen Sitzplatz direkt gegenüber der gut frequentierten Bordtoilette zu ergattern, wird ohnehin alle fünf Minuten durch das schrille Pfeifen der düsenartigen Spülung geweckt. Spätestens aber beim Geruckel an der „Wackel-Ziehharmonikatür“, gefolgt von einer beißenden Sanitärreinigerfahne, wird dem Schlaf-Wach-Schlummern ein jähes Ende gesetzt.
 Zur Ablenkung gibt es ja das „Multimedia-System“. Wie dreist, dass einige Fluggesellschaften ihren Gästen in der Holzklasse eine billige 90er-Jahre-Konsole zumuten. Miserabler Sound, kryptische Menüs. Und wenn man nach dem zehnten Sackgassen-Link nicht zum gewünschten Film gelangt, drückt man aus Versehen die „Stewardess-Taste“. Und da rollt sie auch schon mit ihrem Rammwagen durch die Gänge. Vor Schreck flutscht die Fernbedienung aus der Hand und verschwindet wie das Kabel eines Staubsaugers in der Lehne. Eigentlich kann das Ding dort bleiben. Spätestens nach zehn Minuten wird der Film ohnehin angehalten, um die quäkigen und unverständlichen Ansagen des Captains zu ertragen.

NERVIGE EINREISEFORMULARE AUSFÜLLEN

Jetzt müssen nervige Einreiseformulare ausgefüllt werden. Wer kommt auf die Idee, in der Smartphone-Ära mit Passbook-Apps Pappkarten handschriftlich ausfüllen zu lassen? Wer soll mein Gekrackel dechiffrieren können?
 Aussteigen, anstehen, im Gangway bei wechselndem Backofen- oder Eisschrankklima warten. Hier werden die Leistungen der Airline gepriesen: „Symphonie für die Sinne“ steht da auf einem Fernweh-Plakat der Fluglinie. Okay, in Werbewelten wird selten mit Superlativen gegeizt: Auch Imbissbudenbetreiber verkaufen ihre rudimentären Kochkünste mit Fettgebäck und Hack als „Mediterrane Spezialitäten“. Die Geschmäcker sind verschieden. Wer nicht überrascht werden will, sollte nicht reisen. Wer etwas erleben möchte, muss warten können. Die nächste Reise kommt bestimmt!


Michael Krüger

Ist in der Medien- und Musikszene als Journalist, Texter und Kreativer aktiv. Nach Studium, Akademie & Volontariat fest oder frei in Redaktionen und Agenturen sowie als Reisejournalist und Artworker tätig. Für seine Reisereportagen wurde er mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet.