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Faszination Sharkfeeding: Haifütterung auf den Bahamas

Nirgendwo kann man Haie so spektakulär und hautnah erleben wie beim Anködern. Die Praxis ist auf vielen Karibikinseln beliebt wie auf Kuba, Roatan, St. Martin und vielen anderen Inseln. Weltweit bekannt sind die spektakulären Feeds auf den Bahamas. Hier kann man die großen Kaliber wie Tiger-, Hammer-, Zitronen, Weißspitzen-Hochsee- und Karibischen Riffhaien hautnah zu erleben. Es gibt nicht nur Fans – die Praxis polarisiert: Sollte man potenziell gefährliche Tiere wie Haie anfüttern? Wir haben Profis befragt und Shark Feeder begleitet und die zweitägige Ausbildung „Feeds Shark Awareness Specialty” mit viel Theorie und vier Tauchgängen bei Stuart Cove in Nassau absolviert. 

Haie sind faszinierend. Bei vielen Tauchern steht die Begegnung mit den grauen Jägern ganz oben auf ihrer To-do-Liste. Für natürliche Begegnungen braucht man Glück – beim Shark Feeding  sieht man sie sicher. Hier werden Haie durch Chumming (Anködern) angelockt: „Du musst relaxt bleiben und immer die Haie im Auge behalten“, sagt Ignacio Lezama während er den meterlangen Metallspieß wie ein Florett durch die Luft führt. Der Argentinier, den alle nur Nacho nennen, korrigiert seine Schüler wie ein Regisseur bei einer Theaterprobe. Immer wieder zeigt er die wichtigsten Skills, die ein Shark Feeder drauf haben sollte. Das Training am Steg der Tauchbasis von Stuart Cove in Nassau/Bahamas mit den „Luft-Haien“ ist die Vorbereitung für die Teilnehmer des „Shark Awareness“-Specialtys. Die verflochtenen kleinen Metallringe der Kettenanzüge rasseln bei jeder Bewegung der Feeder, die wie ein Hybrid aus Kreuzritter, Gladiator und Fechter aussehen. „Die Anzüge dienen der Sicherheit der Feeder“, erläutert Nacho den Grund für die Schutzkleidung.„Die Haie sind nicht aggressiv. Aber wenn man nicht aufpasst, kann man versehentlich gebissen werden. “Auf die Frage, ob ein Fehlbiss wehtut, umfasst er den Arm eines Schülers und drückt kräfig zu. „Man merkt einen Druck, aber es gibt nur einen blauen Fleck.“

SHOWTIME AM WRACK

Die Fahrt zum ersten Sharkfeed-Spot dauert keine Viertelstunde. Die Köderer tragen einen „Neptunic“-Sharksuit, Kettenhandschuhe und Helm. Der für Haie verlockende und auf Menschen abstoßend wirkende Geruch verdorbener Makrelen strömt aus der Futterbox, als Nacho die Kiste öffnet. „Wir verfüttern nur Abfälle aus den Restaurants. Die kleinen Fische, Köpfe und Karkassen machen keinen Hai satt“, so der Argentinier. Eine Studie der Simon Fraser University aus Britisch-Kolumbien bestätigt, dass der Nährwert der von den Haien verzehrten Fische bei den Feeds in Nassau nicht ausreicht, um eine echte Nahrungsquelle darzustellen.

Wir tauchen wie besprochen zum Spot. Nacho wird beim Abtauchen von zahlreichen Haien und Zackenbarschen umschwärmt, bis er auf der Stahlkiste stehend, wie ein Raketenmann auf dem Deck des Feedwracks landet. Um uns herum kreisen mittlerweile an die 30 Karibische Riffhaie – einige Tiere sind fast drei Meter lang. Nun ist er der Chefkoch am Fischbuffet, um den Haien die aufgespießten Delikatessen zu reichen. 

Nacho zeigt plötzlich das „Tigerhai“-Zeichen. Wir sprachen während der Theorieausbildung noch über die unterschiedlichen UW-Zeichen der Haiarten. Er erwähnte, dass sich immer wieder Tiger-, Hammer- oder Bullenhaie blicken lassen. Und kaum gesagt, schwimmt ein junger, knapp drei Meter langer Tigerhai an uns vorbei. Alles okay? Nacho gibt das Zeichen und angelt eine Makrele aus der Box und spießt den Fisch auf den Stab. 

 

STUART COVE`S IN NASSAU GILT ALS UNTERWASSER-HOLLYWOOD: ALLEIN SECHS JAMES-BOND-FILME WURDEN AUF DEN BAHAMAS GEDREHT. www.stuartcove.com

Das Spektakel beginnt: Nacho führt den Spieß wie einen Degen durch die Fluten. Zwei größere Haie zeigen Interesse, aber ein kleiner Nassauzackenbarsch schnappt den Köder und verschwindet blitzschnell in seinem Versteck im Wrack. Wenn ein Hai den Köder anvisiert, wackelt er schnell mit dem Kopf hin und her und schwimmt direkt auf die Beute zu. Kurz vor dem Biss schließen sie die Nickhäute, die die Augen der Haie schützen. Faszinierend zu sehen ist es, wie sie das riesige Revolvergebiss mit den scharfen, spitzen Zähnen nach vorn schieben. Wenn die silbergrauen Jäger ihren Kiefer für den Biss vorstülpen, verwandelt sich ihr Antlitz für eine Sekunde in eine Fratze. 

Die Baitbox hat einen Klappmechanismus, damit die Haie sich nicht selbst bedienen. Neben der Feeder-Kiste wird in einiger Entfernung ein zweiter, rund ein Meter langer Metallzylinder mit ausgesägten Löchern für die Ammenhaie und Zackenbarsche abgelegt. „Die wühlen ständig den Grund auf und stören beim Shark Feeding“, sagt Nacho. 

Es ist atemberaubend nach dem Theorieunterricht für das „Shark Awareness“-Specialty (Info: www.stuartcove.com) bei der wir über die Anatomie und Verhaltensweisen gesprochen haben, die Haie direkt vor der Maske zu sehen. Deutlich erkennt man die Lorenzinischen Ampullen, die fünf Kiemenschlitze, über die das Wasser austritt, sowie die hellwachen Augen, mit denen uns die Jäger aufmerksam mustern – Details wie die dunklen, fast sanft wirkenden Sehorgane der Tigerhaie im Vergleich zu den eher starren, kleinen und „tot“ wirkenden Augen der Ammenhaie bis zu den listigen Katzenaugen der Riffhaie.

PRO & CONTRA

Shark Feeding ist auf den Bahamas völlig normal. Hier läuft das seit mehr als 40 Jahren bis auf kleine Blessuren angeblich unfallfrei ab. Ist Anködern letztlich Tierschutz, der funktioniert, weil die Gesetze der Marktwirtschaft greifen? „Die Haie sind Botschafter. Medien berichten, Gäste posten Fotos und Filme“, sagt der ehemalige Shark Feeder Jaime Rolle auf Grand Bahama. Stuart Cove aus Nassau sieht das ähnlich: „Auch Fischer werden Teil des Geschäfts. Aus Jägern werden Ranger und die ganze Welt sieht, dass Haie keine blutrünstigen Bestien sind. Eine bessere PR  gibt es nicht!“, so der Chef der größten Tauchbasis der Karibik. „Ökologiebewusstsein und Einsicht haben noch kein Tier geschützt. So sind in Südafrika die Weißen Haie nur deshalb streng geschützt, weil Käfigtauchen ein 30-Millionen-Dollar-Business ist“, sagt Gerhard Wegner, Gründer von Sharkproject. 

Es geht wie immer ums Geld: Mehr als 110 Millionen US-Dollar verdienen die Bahamas jährlich mit dem Hai-Tourismus (Quelle: www.livingdreams.tv), sie sind damit weltweit die Nummer eins. Die Pew Environment Group berichtete auf BBC-Online, dass jeder Karibische Riffhai 250 000 US-Dollar in die Wirtschaft des Archipels bringe. Die Regierung hat den Wert der Haie als Touristenattraktion erkannt und bemüht sich sehr, ihre „Goldesel“ zu schützen und zu vermarkten. Und damit das auch so bleibt, sind sie streng geschützt. 

„Der Fang von Haien ist auf den Bahamas gesetzlich verboten“, erläutert Antoinette D. Stuart vom Tourist Board Bimini, „Marine-Einheiten patrouillieren und sorgen dafür, dass die Gesetze auch befolgt werden.“ 

„Die große Anzahl der Haie sind ein Indikator für die Stabilität des maritimen Ökosystems“, sagt Dr. Samuel H. Gruber vom Sharklab auf Bimini. Rund 40 Arten leben in den Gewässern. Die Umweltschutzorganisation Bahamas National Trust hat eine ambivalente Meinung; einerseits lehnt sie Haifütterungen als nicht artgerechtes Verhalten ab, andererseits hofft sie, dass das Erlebnis den Menschen die bedrohte Spezies näher bringt und „die Faszination Hai erlebbar“ wird, so Eric Carey, Geschäftsführer der Organisation. Nur was man schätze, das schütze man auch. Meeresbiologin Agnessa Lundy kümmert sich beim National Trust um die 33 Nationalparks der Bahamas. „Alles, was die Haie am Leben hält, ist gut!“, sagt sie. 

Einige Taucher lehnen dieses Szenario prinzipiell ab und verweisen auf die Veränderung des natürlichen Verhaltens. Haie teilten normalerweise kein Territorium, weil sie SpitzenPredatoren sind und in geringerer Anzahl vorkämen als andere Tiere im Ökosystem. 

KONDITIONIERTE HAIE?

Ob Haie durch das Ködern konditioniert werden und Menschen mit Futter assoziieren wird zwar vermutet aber relevante wissenschaftliche Studien liegen bisher nicht vor. Es wurden Haie beobachtet, die bereits beim Motorengeräusch der Zodiacs zum Feederspot schwimmen – so wie ein konditionierter Hund beim pawlowschen Szenario auf das Läuten einer Glocke mit Speichelfluss reagiert. Natürlich kann es je nach Art der Feeds zu Futterneid kommen: Je mehr Haie um die Köder buhlen, umso mehr steigt die Gefahr brenzliger Situationen. Der Konkurrenzdruck, verbunden mit der veränderten Hierarchie durch den Feeder, kann Probeme verursachen.

HAIATTACKEN WELTWEIT

2018 gab es nach Auskunft des International Shark Attack File (www.floridamuseum.ufl.edu/shark-attacks) weltweit insgesamt 66 Haiangriffe auf Menschen. Davon waren vier tödlich. George Burgess vom Florida Museum betont, dass Menschen nicht auf der Speisekarte von Haien stehen. Ansonsten gäbe es vermutlich Millionen Unfälle im Jahr.

Bei der Mehrzahl der Vorfälle handelt es sich um provozierte Angriffe durch Sportfischer und Harpunenjäger. Unter den nicht provozierten Angriffen verwechseln die Fische Menschen mit ihrer normalen Beute, was häufig auf schlechte Sicht zurückzuführen ist. Mehr als 80 Prozent der Opfer waren Surfer und Schwimmer. Burgess sagt, dass Vorfälle an der Küste häufig von Tiger- oder Bullenhaien verursacht werden. Eine von Dr. Neil Hammerschlag an der Universität von Miami durchgeführte Studie ergab allerdings, dass das Ködern von Tigerhaien deren Verhalten nicht negativ beeinflusst. 

Während sich Experten über die Auswirkung von Fütterungen auf das Verhalten und die Migrationsmuster nicht einig sind, bleibt die Frage, ob das Ködern für die Erhaltung der Haie gut ist. Trotz aller Kritik ist professionelles Shark Feeding für Wissenschaftler wichtig und Haischutz, der funktioniert. Einig sind sich alle, dass diese Spezies stark bedroht ist: Jedes Jahr werden 100 000 Haie wegen ihrer Flossen und als Beifang getötet. Ein Skandal!

Bahamas Flagge, Karibikguide + USA
Karibik Guide

BAHAMAS

Traumstrände und Haie! Riffhaie (Nassau), Tiger- und
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Bettina Bormann

Geboren in Neustadt an der Weinstraße, aufgewachsen in Hameln, der Rattenfängerstadt. Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen (Sozialpsychologie, Soziologie, Kriminologie, Strafrecht, Sozialpolitik), drei Jahre in der kriminologischen Forschung (Sonderforschungsbereich der Uni Bielefeld). Ausbildung zur Mediendesignerin (CDI, Göttingen) und Redaktionsvolontariat. Seitdem fest und frei - PR und Journalismus - heute PR und freie Reisejournalistin. Bettina Bormann lebt und arbeitet seit 1995 in Hamburg.