Sint Eustatius – unpolierter Karibikschatz
Sint Eustatius? Nie gehört? Die unscheinbare Insel nennt sich Besondere Gemeinde der Niederlande und liegt ganz in der Nähe der VIP-Insel St. Barth. Promiflair sucht man hier vergebens. Statia, wie die Einheimischen die Insel nennen, glänzt mit natürlichem Charme und versprüht Highland-Romantik in der Karibik.
Ankunft am „F. D. Roosevelt Airport“. Das klingt gewaltig, aber dieses „Flugplätzchen“ auf der Karibikinsel St. Eustatius hat eher den Charme einer Minigolfanlage. Die vier uniformierten Angestellten, die hier arbeiten, nehmen ihren Job allerdings verdammt ernst: Alle sieben Fluggäste haben unter der „Arrival“-Markise zu warten, bis sie ihren Pass zeigen dürfen. Die Schalterbeamtin beäugt misstrauisch die Reisedokumente. Ausrangierte Schulpulte stehen hinter einem entkernten Handgepäck-Scanner, der wohl kaum in den Raum gepasst hätte. Dahinter hängt ein überdimensioniertes „Luggage“-Schild über einer Pritsche. Die Funktion des Rollbands übernimmt ein älterer, grauhaariger Herr mit Schirmmütze, der die Koffer gelangweilt durch ein geöffnetes Fenster schiebt.
Glenn Faires kennt das Prozedere. Mit einem verschmitzten Lächeln, das mehr als tausend Worte sagt, begrüßt der Chef des Golden Rock Dive Centers die Gäste. Die Koffer sind schnell auf der Ladefläche des Pick-ups verstaut. „Die Einheimischen nennen die Vulkaninsel, die noch Fort-Anlagen aus der Kolonialzeit besitzt, schlicht Statia“, erläutert der Texaner während der Fahrt zum Hotel. Vieles ist staubig und hat Patina. „Okay, man könnte mal einen Besen in die Hand nehmen“, lacht Faires während er die Gäste über die betagte Piste bugsiert und Hühnern, die über die Straße laufen ausweicht. „Aber das ist Statia-Style!“
HIGHLAND-ROMANTIK IN DER KARIBIK
St. Eustatius erinnert an schottische Highlanddörfer – nur ohne nasskaltes Wetter, graue Wolken und Whiskey-Destillen. Alte Kanonen und die Relikte einer Baumwollspinnerei zieren auch die urige Unterkunft Old-Gin-House. Von hier aus sind es keine fünf Minuten zu Fuß bis zum Golden Rock Dive Center. Vor der Tauchschule sitzt man wie an einer Dorf-Bushaltestelle auf Stühlen und Bänken oder relaxt in der Hängematte. Mittags kann man sich in der Tankstelle gegenüber ein paar spanische Snacks für wenige Dollar holen. Die Basis passt perfekt zum Statia-Spirit, der da lauten könnte: „Unaufgeräumt, einfach, natürlich! Wir verhalten uns nicht service-orientiert freundlich, sondern sind einfach entspannt nett. Aber nicht übertrieben, sondern reell.
RIESIGE STACHELROCHEN, VIELE SCHILDKRÖTEN UND HAIE!
„Auf Statia findest du alles: Drei-Meter-Haie, dutzende von Stingrays, Wracks, Makrospots und mit Glück sogar Buckelwale“, preist Glenn Faires die Tauchspots an. Der Texaner hat recht: Die Besonderheit der Insel sind die unterschiedlichen Spots, die in wenigen Minuten angesteuert werden. Beim „Double Wreck“ findet man meist ein Dutzend großer Stachelrochen. Bei Dooby‘s Crack lassen sich in knapp 40 Meter Tiefe häufig Karibische Riffhaie blicken – wir haben bei unserem Tauchgang gleich fünf gesehen. Wracks wie die schön überwucherte „Charlie Brown“ übertreffen die Erwartungen, weil man hier selten auf andere Tauchgruppen trifft. Bei Glenn’s Lieblingsplatz Aquarium konnten wir mehr als 20 Wasserschildkröten beobachten, wie sie an der Oberfläche Luft schnappen. Für alle, die sich für Kleinkram am Riff begeistern, gibt es auch Makrospots mit Blennys und merkwürdigen Bewohnern zu sehen. Oder ganz groß: „Buckelwale ziehen im Frühjahr an Saba und St. Eustatius vorbei und sind für Taucher und Schnorchler ein Erlebnis“, erläutert Faires. Das gibt’s nur auf Statia: Beim Spot Blue Bead Hole können Taucher nach dem ehemaligen Sklavengeld suchen. Die blauen Steine, die die Unterdrückten nach der Befreiung ins Meer geworfen haben, sind mittlerweile richtig was wert: Zwischen 20 bis mehr als 200 Dollar werden für schöne Exemplare gezahlt. Doch Glenn hat noch eine Besonderheit anzubieten: Wenn immer das Wort „DiveGlide“ fällt, kann man sich darauf einstellen, dass der Amerikaner die nächste Stunde kein Ende finden wird, jede Einzelheit seines „Babys“ bis ins letzte Detail zu erklären (siehe Kasten).
PUBS IN DER KARIBIK
uch das gehört zur Insel-Impression: Bei jedem Bootstauchgang sieht man die täglich verkehrenden Tankschiffe: An der Küste gibt es ein großes Öllager, das die Einheimischen schlicht „Terminal“ nennen, an dem die Schiffe mit Erdöl betankt werden. Die Hälfte der Bewohner arbeitet in der Ölbranche. Abends trifft man sich meist im „Cool Corner“. Dieses, an ein Pub erinnernde Lokal könnte so ähnlich in einer kleinen britischen Hafenstadt zu finden sein – ist aber tatsächlich ein verkapptes chinesisches Restaurant. Am Tresen türmen sich Biergläser und zwei glatzköpfige Typen mit Armen in Oberschenkel-Dimensionen übertönen mit „Bruce, two more!“ ohne Anstrengung die nicht gerade leise Fußballübertragung aus dem Fernseher. „Die Hafenarbeiter haben den Inhaber einfach umgetauft, weil sie sich den asiatischen Namen nicht merken konnten“, sagt Glenn mit frechem Grinsen.
SINT EUSTATIUS
Authentische Karibik: Sint Eustatius sieht teilweise aus wie Schottland – nur mit Palmen, Sandstränden und besserem Wetter.
ASCHENPUTTEL-CHARME
Der Vulkan Quill bestimmt das Bild Statias. Die Besteigung lohnt sich – der Blick in den überwucherten Vulkankessel erinnert an Szenen aus „Jurassic Park“. Ringsum das Zentrum – auch das sollte man sich nicht allzu groß vorstellen – gibt es einige urige Restaurants. Kaum zu glauben, dass diese Insel vor 300 Jahren eins der wichtigsten Handelszentrem in der Karibik war: ein Umschlagplatz mit tausenden Schiffen. Die Fortanlage aus vergangener Zeit erinnert an die Reichtümer. Jetzt bevölkern hauptsächlich freilaufende Hühner, Ziegen, Kühe und Hunde die Insel. Menschenleer ist der Strand von Zeelandia. „Klar könnten hier Liegen und Schirme stehen“, sagt Glenn und zeigt begeistert auf potenzielle Plätze im Sand: „Die Ecke hier wäre doch perfekt für eine coole Strandbar“. Faires brummelt etwas von kühlen Drinks und gegrillten Snacks und wuschelt durch seine lange Lockenmähne. Dann platzt es aus ihm heraus: „Wahrscheinlich würde sowieso niemand kommen, um etwas zu kaufen.“
THE HIDDEN TREASURE
„The hidden treasure“, der unbekannte Schatz, entfesselt seine Besonderheit nach ein paar Tagen. „Ich suche kein Entertainment oder Nightlife“, sagt Jens Bodem, der mit seiner Frau Dorothee bereits das vierte Mal hier einen Tauchurlaub verbringt. Die beiden schätzen das besondere Flair der Insel. Der unverfälschte Charakter, das exklusive Tauchen. Autos werden nicht abgeschlossen – es gibt so gut wie keine Kriminalität. Diese Vorteile kann man gar nicht groß genug betonen. Niemand wird hier nerven oder einem Souvenirs andrehen wollen. „Auf Statia gibt es, glaub ich, gar keine, oder?“, fragt Jens seine Frau. Kaum zu glauben, dass touristische Inseln wie St. Maarten oder VIP-Ziel St. Barthélemy so nah sind. „Aber weit genug entfernt, um mal eben mit dem Boot rüberzufahren“, erklärt Faires. Das sei wohl das Geheimnis des Aschenputtel-Charmes von St. Eustatius.
INFO
Mit Air France oder KLM nach Paris, von dort nach St. Maarten. Mit einem Propellerflugzeug geht es mit der Fluglinie WinAir nach Saba. Flugzeit 15 Minuten. www.fly-winair.com. Achtung: Air France achtet genau auf die Einhaltung der Gewichtsgrenze beim Flug- (23 Kilogramm) sowie Handgepäck (12 Kilogramm.) Angenehm: Die Koffer werden von Deutschland bis Saba durchgecheckt.
WOHNEN
ST. EUSTATIUS
Old Gin House, www.oldginhouse.com
TAUCHEN
ST. EUSTATIUS
Golden Rock Dive Center, www.goldenrockdive.com
INSELHOPPING Fähre: Etwa 60 bis 75 Minuten. Drei Mal die Woche von St. Maarten nach Saba und am selben Tag zurück, ca. 80 US-Dollar)
Flug: 20 Minuten St. Maarten, (ca. 175 US-Dollar hin und zurück)