Kolumne

Man spricht Deutsch

Deutsche Küche in der Karibik: Für einige Urlauber sind germanische Tugenden die ultimativen Buchungskriterien. Andere machen im Urlaub einen großen Bogen um ihre Landsleute. Wie deutsch hätten Sie es gern während ihrer tropischen Reise? Exotisch germanisch?

Two hands of a person painted with the flag of Germany forming a heart

NICHT AN DEN ALLTAG IN DEUTSCHLAND ERINNERT WERDEN

Vielleicht haben Sie vor der Reise ihr Französischvokabular aufgefrischt, um mit Enttäuschung festzustellen, dass Sie zwar auf der anderen Seite der Weltkugel sind, aber die halbe Service-Crew und die meisten Gäste deutsch sprechen. Warum schämen sich deutsche Touristen, wenn sie ihre Landsleute im Urlaub treffen? Vielleicht, weil man jede umgangssprachliche Dummheit mitbekommt? Oder weil einige instinktiv nach schlechten Angewohnheiten der Gäste suchen? Deutschsprachige Unterhaltungen erinnern viele an das, was sie während der Reise vergessen wollten: ihr Leben zu Hause. Nervige Nachbarn, grässliche Verwandte denen man im Nest, das man seit seiner Kindheit verlassen möchte, ausgeliefert ist. Und jeden Morgen während der Fahrt zur verhassten Arbeit wird man daran erinnert, dass man seine Lebenszeit mit fürchterlichen Menschen in einem sinnlosen Job vergeudet und das einzige, für das es sich lohnt aufzustehen, diese Wochen des Jahres sind.

DEUTSCHE KÖNNEN DEUTSCHE IM URLAUB NERVEN

Und dann hocken Heinz und Inge am Nachbartisch: „Awa, mach koi Ferz!“, nuschelt der schlecht gelaunte Freiburger mit breitem Akzent. Er unterhält die halbe Strandbar mit Nichtigkeiten, bei dem die meisten zum Verständnis einen mehrmonatigen Fremdsprachenkurs absolvieren müssten. Fremdschämend versuche ich, Teile seiner Unterhaltung zu dekodieren. Seine eingangs und häufig benutzte Floskel heißt so viel wie „Ach ja?“ Ich fange Fragmente auf, dass es ihm hier zu heiß sei, dass Essen nicht schmecke und dass er Ärger mit Handwerkern in seinem Haus habe. Seine mit Goldschmuck behangene Gattin erläutert, wie sie am Anfang jeder Reise die Hotelmitarbeiter herunterputzt und Zimmer und Essen reklamiert, um Upgrades zu bekommen und damit sie wissen, dass sie sich bei ihnen ins Zeug legen müssen. „Kerl, wenn d’net schpuursch, kriegsch e paar hinner d’Leffel!“

GLOBETROTTER-PROTZEREI IM HOTEL

Oh mein Gott! Was habe ich nur getan? Es folgt eine Salve lästiger Globetrotter-Protzerei: wie viel besser der Service und das Buffet in einem anderen Luxus-Resort sei und ob ich schon einmal auf der Trauminsel „Superteuer“ gewesen wäre? Ich denke nur an eins. Wie wunderbar wäre es doch, wenn Heinz und Inge nicht hier wären. Was wäre, wenn die beiden statt pausenlos Plattitüden abzulassen, ihren Mund halten würden, um ein paar Minuten zu reflektieren, wo sie gerade sind. Auf einer schönen Insel am anderen Ende der Welt. Dass wir heutzutage, ganz selbstverständlich, Ziele ansteuern, die für unsere Großeltern und vielleicht sogar unsere Eltern ähnlich unerreichbar gewesen wären wie eine Reise zum Mond. Und auch wir ärgern uns später am Abend wieder über das verwöhnte Spießerpärchen und sind damit beschäftigt, den beiden während der nächsten zwei Wochen möglichst weiträumig aus dem Weg zu gehen.

DEUTSCHE TUGENDEN IM AUSLAND SUCHEN

Warum suchen Deutsche im Ausland deutsche Hotels und Restaurants auf? Weil sie keine Fremdsprachen können? Verständlich! Oder weil sie gern Landsleute treffen. Warum nicht? Bestimmt auch, weil einige typisch deutsche Qualitäten vermuten wie Genauigkeit, Organisationstalent und Technik-Know-how. Einleuchtend: Wer jemals einen Horror-Urlaub in einem ranzigen Hotelklotz und verpeiltem Personal erlebt hat, wird einen Kniefall vor einer gut organisierten Einrichtung machen – egal ob sie unter französischer, englischer, schweizerischer, holländischer oder deutscher Leitung.

Vielleicht sollte man sich vor der Buchung fragen, was wichtig ist. Bei der nächsten Reise werde ich die Schwächen meiner Landsleute wohlwollend ignorieren. Ich habe auch an der Supermarktkasse, bei der Autofahrt oder im Kino genügend Zeit, mich über die Bräsigkeit meiner Mitbewohner zu ärgern. Im Urlaub halte ich mich an Mark Twains Zitat: „Es gibt kein besseres Mittel festzustellen, ob man einen Menschen mag oder hasst, als mit ihm zu reisen.“

MAN SPRICHT DEUTSCH

Michael Krüger

Ist in der Medien- und Musikszene als Journalist, Texter und Kreativer aktiv. Nach Studium, Akademie & Volontariat fest oder frei in Redaktionen und Agenturen sowie als Reisejournalist und Artworker tätig. Für seine Reisereportagen wurde er mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet.