Kolumne

Sauerei auf den Bahamas

Einige Urlauber reisen nur auf die Bahamas, um die entzückenden rosa Schweinchen am Pig Beach im türkisblauen Wasser zu erleben – am besten mit einem saftigen Cheeseburger mit Extra Bacon in der Hand. Dass die Tiere häufig sterben, weil sie an Hautkrebs erkranken, von Gästen falsch gefüttert werden oder geschlachtet werden, wissen die wenigsten. Aber warum soll es dem „Key Visual“ der Bahamas anders ergehen, als den Marlboro-Cowboys, die regelmäßig an Lungenkrebs starben. That’s Entertainment! Darum werden regelmäßig neue Tiere gezüchtet, um die mittlerweile vier „Schweine-Inseln“ mit Nachschub zu beliefern, damit die Touristen nicht so weit reisen müssen.

Wild, swiming pig on Big Majors Cay in The Bahamas

DIE MARLBORO-MÄNNER UND DER LUNGENKREBS 

„Key Visual“? Dabei handelt es sich um ein Schlüsselbild, das eine visuelle Idee über Motiv und Farben transportierten soll. Wie die rosa Bahamas-Schweine, die lila Milka-Kuh oder der besagte sonnengegerbte Marlboro-Mann vor der Rot-weißen Zigaretten-Schachtel. Der berühmteste Darsteller Wayne McLaren, der diese Figur seit 1976 in unzähligen Werbekampagnen spielte, starb 1992 im Alter von 51 Jahren … an Lungenkrebs. Wie seine Vorgänger David Millarm, David McLean, Eric Lawson sind alle Cowboys durch das Produkt getötet wurden, für das sie geworben haben. Also warum aufregen, weil die Schweine an Hautkrebs sterben – das ist quasi Berufsrisiko. Schlamm, der natürliche Sonnenschutz für rosa Schweine, ist am tropischen Sandstrand Mangelware. Gut, die Tiere hatten keine Wahl, aber hätten sie die Möglichkeit zwischen Schlachthof & Schweinezange oder Hautkrebs & Pig Beach gehabt, bin ich mir sicher, dass sie „Cancer Island“ dem Bolzenschussgerät vorgezogen hätten – Schweine sind nämlich sehr intelligent! 

CORPORATE DESIGN UND CORPORATE IDENTITY

Um die Wirkung der Schweine besser zu verstehen, erkläre ich noch kurz zwei wichtige Marketingbegriffe vor, die häufig verwechselt werden: Corporate Identity (CI) und Corporate Design (CD). Beide sind häufig Bestandteil des Key Visuals. Einfach gesagt ist CD die Optik einer Kampagne: Hier das rosa Schwein in türkisfarbenem Wasser mit dem Bahamas-Logo und dem passendem Slogan. CI ist das Image: Die Schweine stehen für Lebenslust und Vergnügen und die Motive suggerieren alles, wofür Karibikträume stehen. Das Key Visual ist besser als eine hübsche Frau am schneeweißen Bahamasstrand, denn die Schweine sind ein weltweites Alleinstellungsmerkmal der Bahamas – genauer der Exumas. Ähnlich wie Wurstfabrikanten gern mit lachenden Schweinen werben: „Du bist das Pantone Verpackungs-Schwein, das das Ergebnis seiner eigenen Verwurstung dampfend auf dem Teller präsentiert!“ (Oberer Totpunkt, Narkotisiert, vom Album „10 Grad vor OT“ (2007).

KOGNITIVE DISSONANZ

Da fällt mir noch ein Begriff des Marketings und der Verkaufspsychologie ein, der beim Thema „Bahamas-Schweine“ fallen könnte: Kognitive Dissonanz. Darum handelt es sich um einen unangenehmen Gefühlszustand und negativen Gedanken, beim Kauf oder Nutzen eines fragwürdigen Produktes. So geht es vielleicht Klimaklebern, die sich bei Amazon das neue „IPhone 14″ kaufen, oder Greenpeace-Mitglieder die heimlich mit ihrem Porsche Cayenne „Turbo GT“ mit 650 PS und Hybrid mit 18 Kilometer Stromreichweite, angegebenem Verbrauch von 11,9 Liter auf Landstraße und echten 66 Liter Verbrauch auf 100 km/h bei Vollgas, zum Biomarkt fahren. Natürlich sind nicht nur Vegetarier und Veganer entsetzt, wenn sie erfahren, das auch die Tiere im Schweineparadies geschlachtet werden. Die Locals können den Ärger nicht verstehen: Ist doch Bio! Sie hatten ein schönes Leben. Einige werden auch durch die Anfütterung der Gäste  zu aggressiv und landen deshalb auf dem Grill. Auch der Marlboro Man wurde durch viele Gesundheitsorganisationen kritisiert, weil er ein antiquiertes Männerbild zeige und der lebensgefährliche Zigarettenkonsum mit Freiheit und Abenteuer assoziiert würde. Dem Erfolg des Cowboys schadete das offensichtlich nicht, denn seit fast 70 Jahren ist er das Lungenkrebs-Werbemaskottchen für die Philip-Morris-Marke. Kritik an Umweltschutz, Arbeitsbedingungen, Tierhaltung und gesundheitliche Aspekte des Essens prallen auch an Ronald Mc Donald, wie Wassertropfen am „V6 Pearlway“ Regenabweiser ab. Der US-Killerclown ist seit 60 Jahren gegen alle Anfeindungen als Key Visual erfolgreich im Geschäft. Und natürlich gibt es enttäuschte Naturschützer und Vegetarier, die Pig Beach als Flitterwochenziel gewählt haben, weil sie glückliche Schweine sehen wollten, die nicht ausgebeutet wurden und ihr Leben in völliger Freiheit verbringen können. 

SCHEINE UND HAIE SIND DIE DEVISENBRINGER DER BAHAMAS

Viele vergessen, dass die Bahamas und Pig Island eine unglaublich positive Presse für Haie und Schweine bringen. Viele erleben, das sie intelligente, neugierige, verspielte und liebenswerte Tiere sind – nicht anders als Hunde und Katzen, die wir zu Hause lieben. Vermutlich haben diese Schweine unzählige Menschen dazu inspiriert, Schweinefleisch und Speck von ihrem Speiseplan zu bannen. Die Bahamas haben das Fischen von Meeresschildkröten verboten und sind zu einem riesigen Haischutzgebiet erklärt worden, um die Jäger vor dem kommerziellen Fischfang zu schützen. 1958 war der Exuma Cays Land and Sea Park der erste Nationalpark seiner Art, der sowohl eine Land- als auch Meeresschutzzonen hatte. Der 176 Quadratmeilen große Park ist ein „No-Take“-Park, in dem nichts innerhalb seiner Grenzen entfernt werden kann. Andere, vom Aussterben bedrohte Tiere wie Flamingos, Bahamas-Papageien und Felsenleguane sind vollständig geschützt und Bereiche ihres natürlichen Lebensraums sind als Schutzgebiete eingerichtet worden.

DIE CHAMBERLAINS KÜMMERN SICH UM DIE TIERE

Bernadette Chamberlain und ihr Ehemann John sind die engagierte Hüter der schwimmenden Schweine: Die Chamberlains und zahlreiche Locals setzen sich dafür ein, dass die schwimmenden Schweine eine nachhaltige Attraktion bleiben. Es wurden Spenden gesammelt für den Kauf von Wassertanks und die Entwicklung eines Rinnensystems auf der Insel, um sicherzustellen, dass die Schweine auch in Zeiten, in denen Freiwillige nicht da sind, genügend Süßwasser erhalten. Es gibt überdachte Plätze, einen Stall für die Ferkel sowie ein separates Gehege für kranke Ferkel und Tiere, die eine medizinische Behandlung benötigen. Dafür bietet ein Tierarzt aus Nassau seine Dienste an. Es gibt Schilder mit Regeln und Vorschriften für Besucher. Sie informieren auch über zugelassene Lebensmittel. Ein Trog wurde installiert und dient als ausgewiesener Ort für die Fütterung der Schweine, damit diese keinen überschüssigen Sand oder Salzwasser aufnehmen. Was hat Umweltschutz mit exklusiven Fernreisen und dem Klimakiller Flugreisen zu tun? Es gilt die weltweite Regel: Marketing first. Schweine sind wie die beliebten Haie, die Millionen von Tauchgästen auf die Bahamas locken, hervorragende Devisenbringer. Nicht nur Tourist Boards und Reisebüros, sondern lokale Reiseleiter, Anbieter von Bootstouren und nahe gelegene Resorts profitieren von den rosafarbenen Glücksbringern. Nicht alle haben Zeit und Lust auf die dreistündige Fahrt mit der Fähre von Nassau bis Big Major Cay auf den Exumas. Dehalb gibt es die Schweine auch auf Rose Island, Abaco und Ship Channel Cay.

Michael Krüger

Ist in der Medien- und Musikszene als Journalist, Texter und Kreativer aktiv. Nach Studium, Akademie & Volontariat fest oder frei in Redaktionen und Agenturen sowie als Reisejournalist und Artworker tätig. Für seine Reisereportagen wurde er mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet.